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Von: Christian Doepgen


Artikel Nummer: 38545

Das lange Warten

Das Speditions- und Logistikgeschäft hängt in diesem Jahr in einem bislang ungekannten Masse von der Seeschifffahrt ab. Nicht nur zahlreiche Player der Branche, auch Verlader sehen die Hochsaison kritisch.


 

 

Die Situation könnte eindeutiger nicht sein: Weltweit ist der Ruf nach Gütern so gross wie selten, jegliche verfügbare Kapazitäten werden dem Markt zur Verfügung gestellt – aber die Engpässe nehmen zu. Nach Charlotte Cook, Chefanalystin von Vessels Value, hat die Überlastung nach Häfen wie Zhoushan, Ningbo und Los Angeles inzwischen auf so unterschiedliche Häfen wie Felixstowe oder Seattle ausgegriffen. Weltweit stehen derzeit insgesamt 334 Schiffe mit über 2,2 Mio. TEU an Bord im Stau. Cook: «Der Containermarkt zur See steht in diesem Jahr unter immensem Druck, da der Covid-bedingte Nachholbedarf den Konsum angetrieben hat. Schlechtes Wetter in China und Covid-bezogene Schliessungen von Terminals haben das ihre dazu beigetragen.»

 

Nach China auch Vietnam betroffen

Was aber bedeutet das z.B. für das Weihnachtsgeschäft vieler Importeure von Konsumgütern aus Fernost? Das Problem ist nicht auf China begrenzt, das u.a. auch unter mangelhafter Stromversorgung seiner Fabriken zu leiden hat. Im vierten Quartal bekommen Importeure zusätzlich die Auswirkungen des Lockdowns z.B. in Vietnam zu spüren. Das deutsche Softwarehaus Setlog hat ermittelt, dass Produkte aus Vietnam im Vergleich von H1/2021 zu H1/2020 um durchschnittlich bis zu 25 Tage verspätet in Europa eintreffen. Der Auswertung zufolge kommen überhaupt nur 17% aller Lieferungen pünktlich an. Im Jahr 2019 waren es noch 70%, im schwierigen Jahr 2020 rund 38%. Stark betroffen vom Lockdown in Vietnam sind unter anderem die Verlader Apple, Adidas und Nike. Frühestens ab Ostern 2022 werde es signifikante Erleichterungen geben, prognostizieren bei Setlog die Fachleute für Supply Chain Management.

 

Aber es wartet bereits die nächste Hürde. «Probleme wie etwa der Mangel an Zehntausenden von Lkw-Fahrern insbesondere in Grossbritannien, aber auch Deutschland, anderen EU-Staaten sowie den USA werden die Lieferketten massiv stören, wenn nicht zeitnah Massnahmen ergriffen werden», betont z.B. Patrick Merkel, Geschäftsführer der Hamburger Prologue Solutions.

 

Schlüsselsektor Automobillogistik

In einer besonders misslichen Lage fühlen sich auch die Automobillogistiker. Die Unternehmen blicken in den Abgrund, warnte der Verband der Europäischen Fahrzeuglogistik (ECG), der nach eigenen Angaben etwa 85% des Neuwagensektors in Europa vertritt. «Selbst Lehman Brothers und die darauffolgende Finanzkrise hatten nicht die wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Sektor, welche die derzeitigen Lieferprobleme verursachen», betonte ECG-Präsident Wolfgang Göbel. Produktionsstopps und Schichtausfälle sind derzeit Alltag.

 

Das Kernproblem – und eines der Leitmotive der ECG-Konferenz vom 14./15. Oktober in Brüssel – bleibt der Chipmangel. «Die Branche kämpft vor dem vorhersehbar dritten schlechten Jahr in Folge ums Überleben und benötigt die Unterstützung der Automobilindustrie», so Göbels Aufruf zum Schulterschluss zwischen Herstellern und Logistikern.

 

Die Ruptur der globalen Supply Chains wird die Spediteure und Logistiker also noch über die schwierige Weihnachts-Saison hinaus begleiten.