Treffen und Bangen
Die Freude stand Veranstaltern und Teilnehmern des Air Cargo Days der IG Air Cargo Switzerland Ende August ins Gesicht geschrieben: Nach Monaten war es endlich wieder möglich, einer grösseren Menge von Fachleuten im persönlichen Austausch zu begegnen. Für Motivation sorgen auch die Zahlen und Fakten der neuen Luftfracht-Logistikstudie – wenn da nicht dieses Virus und seine Folgen wären.
Sonnig, aber mit einer steifen Brise – so erlebten die Besucher des Verkehrshauses der Schweiz den Vierwaldstätter See am 26. August. Ähnlich gestaltete sich das Raumklima des meistbesuchten Museums des Landes, denn Luzern statt Zürich war diesmal von der IG Air Cargo Switzerland zum Veranstaltungsort ihres alle zwei Jahre organisierten und im Frühjahr coronabedingt verschobenen Air Cargo Days gewählt worden. Immerhin feierte die «Stimme der Schweizer Luftfracht» ihren zehnten Geburtstag (vgl. ITJ 31-35/2020, S. 10), und rund 140 Gäste kamen: zur Gratulation, zur Wiederbelebung von Netzwerken und um von sieben namhaften Referenten die Bestätigung ihrer Gewissheit zu erhalten, dass die Luftfracht zu unrecht ein «Mauerblümchendasein» innerhalb der Luftfahrt fristet, wie Thomas O. Koller, Geschäftsführer des Komitees Weltoffenes Zürich, in seinem Grusswort sagte.
1314 CHF pro exportiertem Kilogramm
Zehn Jahre ist es auch her, seitdem die Universität St. Gallen – damals noch ihr Lehrstuhl für Logistikmanagement – in einer ersten Studie die «Luftfracht als Wettbewerbsfaktor des Wirtschaftsstandortes Schweiz» untersucht hat. Im Auftrag der IG Air Cargo führte das Institut für SCM im ersten Halbjahr erneut eine umfangreiche Befragung durch, deren Ergebnisse in der Studie «Schweizer Luftfrachtlogistik 2020» vorgestellt wurden.
In den vergangenen zehn Jahren ist die an den Schweizer Flughäfen abgefertigte Tonnage zwar von 578 000 auf 639 000 t gewachsen, der Anteil des von der Seefracht dominierten Aussenhandels bleibt aber bei 0,6% im Export und unter 0,2% im Import. Anders sieht es beim Wert der geflogenen Güter aus (Abb. 1): Beim Export ist er von 73,7 Mrd. CHF (ohne Gold) 2012 auf 102,6 Mrd. CHF letztes Jahr gestiegen, beim Import von 26,9 auf 43,1 Mrd. CHF. Insgesamt haben 2019 50% aller Exportgüter (nach Wert) die Schweiz als Luftfracht verlassen (2008: 33%), und der Anteil nach Überseedestinationen – an erster Stelle die USA, gefolgt von Zielen in Asien (Abb. 2) – lag sogar bei über 80%. Im Import hat sich der Anteil von 15 auf 35% mehr als verdoppelt.
Nationale Vor- und Nachteile
«Der Treiber der Luftfracht», unterstreicht Prof. Dr. Wolfgang Stölzle, «sind hochwertige, zeitkritische und verderbliche Güter. Im Export werden v.a. Pharmaprodukte, Maschinen, Uhren und weitere hochwertige Produkte der Schweizer Industrie im Flugzeug transportiert.» Diese haben einen Weltruf, ähnlich wie die Qualität der Schweizer Luftfrachtlogistik. So wickeln 86% aller Spediteure des zentral in Europa gelegenen Landes Luftfrachtsendungen mehrheitlich über die Flughäfen Zürich, Genf und Basel ab – wenngleich diese sich dem Wettbewerb mit Nachbarn wie Frankfurt, den 67% regelmässig nutzen, Amsterdam (60%), Luxemburg (40%), Paris CDG oder Mailand MXP (jeweils 24%) stellen müssen. Aber im europäischen Vergleich punkten diese mit «Schweizer Tugenden», v.a. Zuverlässigkeit, Sicherheit und Schnelligkeit.
Als problematisch wird das hohe Kostenniveau eingestuft. Weitere Herausforderungen sind im internationalen Vergleich restriktive Betriebszeiten an den Flughäfen und deren eingeschränkte Erreichbarkeit durch Nacht- und Wochenendfahrverbote für Lkw.
Globale Krisen als Chancen
Die Studie geht auch auf die Klimaproblematik ein und räumt anhand des Vergleichs einer Sendung von St. Gallen nach Hongkong ein, dass der Einsatz der Luftfracht (via Zürich) mit einem Ausstoss von 567,22 kg CO2e (TTW) gegenüber der Seefracht (via Hamburg) mit 9,52 CO2e (TTW) «aus rein ökologischen Gründen fast nie zu rechtfertigen» ist. Die Luftfracht selbst trägt aber nur 0,5% zu den globalen CO2-Emissionen bei – und auch in der Schweiz wird an technologischen Verbesserungen getüftelt.
Denn wie unverzichtbar der Verkehrsträger für Wirtschaft und Gesellschaft ist, zeigt nicht zuletzt die Coronakrise, der ein zusätzliches Kapitel der Studie gewidmet ist. So hat das Wegbrechen der Bellykapazität zunächst die Anfälligkeit der Luftfrachtlogistik offenbart. Findige Fluglinien konnten zwar die grössten Lücken mit Nurfrachtern füllen, doch «die Krise ist noch nicht vorbei», warnte Stölzle. Schlimmer: «Wir wissen noch gar nicht, wo wir stehen.»