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  • Auslöser: Der Verkehrsinfarkt in und um die Häfen. (Foto: DM / kle)

Von: Manik Mehta


Artikel Nummer: 39722

Notbehelf oder Neuland?

In den USA chartern Einzelhändler bislang am häufigsten Transportraum.


Die Liste von Unternehmen wie Walmart, Home Depot, Ikea oder American Eagle Outfitters ist lang, die eigenen Transportraum zu Wasser und bisweilen sogar in der Luft chartern, um das Risiko von Kundenverlusten durch leere Regale zu vermeiden. Manik Mehta, ITJ-Korrespondent in New York, ist der Frage nachgegangen, ob Retailer dauerhaft in dieses Geschäft einsteigen werden.

Aufgrund der massiven Stauungen vor und in Häfen, die zu Liefermängeln und hohen Transportkosten geführt haben, greifen grosse Retailer inzwischen auf das Chartern von Frachtschiffen zurück. Viele Unternehmen hatten bereits vor der Weihnachtssaison damit begonnen, sich mit Gütern aus aller Welt auszustatten, denn der Druck auf Unternehmen wie Walmart, Home Depot, Target oder Ikea wuchs enorm.

«Chartern kann man als eine kurzfristige Lösung zur Überwindung der gegenwärtigen Störungen bezeichnen – aber nicht als langfristige Lösung sehen», sagt aber John Gonzalez, ein in New York tätiger Speditionsfachmann.

Schiffen chartern – das Pro und Kontra

James Hookham, Direktor des Global Shippers’ Forum, deutete kürzlich auf einer Veranstaltung an, dass dieses Chartern über den üblichen Rahmen der Schifffahrt hinausginge. Die US-Einzelhändler hätten unter Rückgriff auf dieses Instrument konventionelle Vertriebskanäle viel früher umgehen und ihre eigene «Product Lifeline» im Ausland etablieren können.

Dennoch meinen einige Experten, Walmart habe mit dem Chartern von Schiffen seinen Umsatz steigern können – und zwar auf ca. 30 Mrd. USD im Gesamtjahr 2021. Die Strategie habe sich als erfolgreich erwiesen, auch wenn die Charteraufträge für Containerschiffe höhere Kosten verursacht hätten. Hinzu kommt der schleppende Bau neuer Schiffe. Die Zahl der im internationalen Transport verkehrenden Hochseeflotte wächst nur langsam, sodass das Chartern einzelner Frachtschiffe teurer ist als der konventionelle Schiffstransport.

Zur See – und in der Luft

Trotzdem ging das Unternehmen American Eagle Outfitters bereits einen Schritt weiter und transportierte seine Waren per Charterflugzeug anstatt per Charterschiff. Sein Nettoumsatz liess sich im Jahresvergleich auf 1,27 Mrd. USD, d.h. um 24%, steigern. Das gab der Finanzchef des Unternehmens, Mike Mathias, auf einer Telefonkonferenz zum Ergebnis im dritten Quartal 2021 bekannt.

Das Chartern von Schiffen scheint also eine wirkungsvolle Strategie zu sein, obwohl sie nicht für jeden Importeur die richtige wäre. Die Sicherheit, ausreichend Waren in den Regalen vorzuhalten, wiegt oft schwerer als die durch das Chartern entstehenden zusätzlichen Kosten. Zu den Einzelhändlern, die den Verlust der Kundschaft am meisten fürchten, gehört der Supermarkt-Riese Asda. Mit selbst gecharterten Containerschiffen stellte er sicher, dass Lieferengpässe bei Produkten wie Spielzeug, Bekleidung, Geschenkartikeln usw. in der Hauptsaison vermieden werden konnten. Auch Costco und Walmart haben Schiffe zur Sicherung ihrer Warenbestände gechartert.

Denn das Rad dreht sich weiter: Wirtschaftsfachleute hatten davor gewarnt, dass die Kombination «grosszügiger» Geldpolitik, massiver Konjukturprogramme und hoher Haushaltsersparnisse zu einer Nachfrage führt, die das Angebot übersteigt. Viele Experten schliessen deswegen nicht aus, dass die Engpässe über das Jahr 2022 hinaus Bestand haben, während Optimisten zum Jahresende eine Entspannung auf den Weltmeeren erwarten. «Die Zahl der bestellten Neubauten ist heute viel höher ... und dies wird langfristig zum Abbau des Kapazitätsproblems beitragen», meint ein Experte. Unternehmen müssen aber weiterhin nicht nur mit langen Wartezeiten, sondern auch mit stark gestiegenen Frachtpreisen rechnen. Nach Angaben von Spediteuren sind die Frachtkosten eines Containers z.B. von China nach Kalifornien von 1000 USD im Jahr 2020 auf 20 000 USD in 2021 angestiegen.

Höhere Verfügbarkeiten

Nur durch «ungewöhnliche Massnahmen», wie ein Spediteur im Gespräch mit dem ITJ mitteilte, habe der amerikanische Präsident Joe Biden die Krise in den USA in den Griff bekommen. Die Häfen arbeiten hier traditionell von Montag bis Freitag. Die Biden-Administration hat nun mit Gewerkschaften, Terminal-Betreibern usw. erfolgreich über Änderungen der Arbeitszeiten und die Öffnung der Häfen an sieben Tagen der Woche verhandelt. So wird z.B. der Hafen von Los Angeles 60 zusätzliche Stunden in der Woche geöffnet bleiben. Zusammen mit seinem «Schwesterhafen» Long Beach wickelt der kalifornische Hafen ca. 40% der US-amerikanischen Containerimporte ab.

Wegen der befürchteten Auswirkung der Lieferketten-Krise auf die Wirtschaft verlangte der US-Präsident auch von der privaten Wirtschaft «grössere Kooperationsbereitschaft». So haben die grossen Kaufhäuser wie Target, Home Depot und andere auf die Aufforderung Präsident Bidens reagiert, mehr Personal für logistische Zwecke zur Verfügung zu stellen. Dennoch ist die Zahl dieser Unternehmen klein, die Schiffe chartern.

Fazit: Das Chartern von Schiffen ist eine vorübergehende Lösung in einer Krisensituation. Sobald der Frachtmarkt sich normalisiert, werden die Unternehmen das Chartern als für ihr Kerngeschäft überflüssig verwerfen.

 

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