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  • Foto: CMA CGM

Von: Josef Müller


Artikel Nummer: 48860

Reeder finden neue Rolle

Im Gespräch mit Andreas Stepan, Sprecher des Verbandes Österreichischer Schifffahrts-Agenten. Die gefährliche Passage auf der Suez-Route schlägt auf die Seefrachtraten hart durch. Verlader suchen immer häufiger den direkten Kontakt mit Reedern und splitten Ausschreibungen für Spediteure und Reeder. ITJ-Korrespondent Josef Müller unterhielt sich mit Andreas Stepan über das Wechselbad der Gefühle eines Berufsstandes, der dennoch Zeichen der Hoffnung sieht – jenseits des gleichnamigen Kaps.


Die Entwicklung in der Hochseeschifffahrt bezeichnet Andreas Stepan gegenüber dem ITJ als «durchwachsen». Denn da gibt es gleich mehrere grosse Herausforderungen, denen sich Reeder stellen müssen. Auf die Betriebsruhe rund um das chinesische Neujahrsfest reagierten sie mit Blank Sailings, sprich dem Herausnehmen von Schiffskapazitäten aus dem Markt, und parkten ihre Schiffe bis «die Werkbank der Welt» wieder zur Arbeit zurückkehrte.

Und Kapazitäten gibt es viele: Mit 350 neuen Einheiten haben die Reeder 2023 so viele in ihre Flotten hereinbekommen wie nie zuvor. Manche ältere Schiffe wurden ersetzt, andere mit moderner Technologie aufgerüstet. Das bedeutet viel Schiffsraum mehr, dem eine verhalten performende Weltwirtschaft gegenübersteht.

Von Herbst 2022 bis Ende 2023 befanden sich die Seefrachtraten infolge der wirtschaftlichen Stagnation im freien Fall und sorgten für Freude bei den Verladern und Bangen bei den Reedern. Das kennt Stepan. Er ist seit 20 Jahren im Geschäft und verantwortet die Niederlassung der französischen Reederei CMA CGM in Österreich.

Raten ziehen wieder an

Derzeit befinden sich die Raten wieder im Höhenflug, was mit der gefährlichen Situation im Roten Meer zusammenhängt. Die Fahrt um das Kap der Guten Hoffnung, mit der man den Huthi-Rebellen aus dem Jemen entkommen will, kann raue See (bis hin zur Havarie) bedeuten.

In einer solchen verbraucht ein Schiff das Dreifache an Kraftstoff. Der Umweg bringt Lieferketten durcheinander: «Wir reden heute nicht mehr vom Ankunftstag eines Schiffes, sondern von einer Ankunftswoche», plaudert Stepans aus dem Alltag.

Das alles führt zu einem Mangel an Containern für Exporte aus Europa, auch aus Österreich, konstatiert Stepan: «Der Leercontainermangel wird sich in den nächsten Wochen verschärfen, wenngleich nicht in so grossem Umfang wie während der Pandemie», und die Reeder versuchen mit allen Mitteln, den Exporteuren ausreichend leere Boxen anzubieten, was nicht einfach werden dürfte «und viel Geld kostet» – auch im Vergleich mit den ca. 150 000 USD, die für die Suez-Passage eines 15 000-TEU-Schiffs anfallen.

Einen Lichtblick bieten Märkte wie Ungarn, Tschechien oder Slowakei: Diese bekommen Massen von Ladung aus Fernost für ihre Automotive-Industrie, haben aber im Vergleich zu anderen viel weniger Exporte. Daher versuchen die Reeder, leere Boxen aus diesen Ländern in jene europäische zu bringen, die sie dringend benötigen. Stepan: «Sobald die Fahrt durch den Suez-Kanal wieder ungefährlich möglich ist, werden die Raten wieder fallen.»

Provisorien und Tendenzen

Den seit zehn Jahren beobachteten Trend, Ladung in Reederei-Regie oder mit Partnern vom Hafen ins Hinterland zu bringen oder umgekehrt, beobachten Spediteure skeptisch. Ihnen entgegnet Stepan: «Nicht die Reeder gehen proaktiv auf potenzielle Verlader im Hinterland zu, sondern es sind gerade grosse Verlader, die den direkten Kontakt mit Reedern suchen.» Das zeige sich bei Ausschreibungen für ihre Transportservices, die öfter in zwei getrennten Paketen am Markt platziert werden – für Spediteure oder für Reeder.

In vielen Ländern ist die Vergabe von Hinterland-Diensten direkt an Reeder längst Usus, «in Österreich haben wir es mit einem Spezifikum zu tun, und Spediteure sind im Hinterlandgeschäft viel stärker involviert», so Stepan. Für ihn ist das Narrativ im maritimen Geschäft, der Spediteur hat die Software und der Reeder die Hardware, nicht mehr gültig.


 

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