Kai aus der Kiste?
Nach dem Antritt des neuen Premiers in London scheint der Austritt Grossbritanniens aus der EU nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Um die wirtschaftlichen und logistischen Folgen aufzufangen, sollen Freihäfen und -zonen den internationalen Handel im Anschluss erleichtern. Pläne hierzu liegen bereits seit 2016 in der Schublade – aber es gibt auch unter den britischen Häfen Kritiker des Modells.
Angesichts der anhaltenden Unsicherheit über die Bedingungen des geplanten EU-Austritts Grossbritanniens zum 31. Oktober hat der neue britische Premierminister seine Unterstützung zur Errichtung einer Reihe von Freihäfen und -zonen im ganzen Land verkündet. «Beginnen wir jetzt damit, Freihäfen zu schaffen, die Tausende hochqualifizierter Arbeitsplätzen in abgelegenen Gebieten entstehen lassen», erklärte Boris Johnson wenige Tage nach seinem Amtsantritt. Die Ministerin für internationalen Handel, Liz Truss, hat bereits ein Verfahren entwickelt, nach dem Seehäfen und Flughäfen nach dem Brexit den Status eines Freihafens beantragen können.
Freihäfen und die umliegenden Freihandelszonen (FTZ) ermöglichen Import, Verarbeitung und Wiederausfuhr von Waren, ohne den normalen Steuer- und Zollbestimmungen zu unterliegen. Ihr Anwendungsbereich ist jedoch aufgrund von EU-Vorschriften eingeschränkt, räumen auch Befürworter des Konzepts ein. Zudem werden sie mit unlauterem Wettbewerb in Zusammenhang gebracht.
Früh entwickeltes Konzept
Ein wichtiger Befürworter der Freihäfen ist vor allem Johnsons neuer Vize-Finanzminister, Rishi Sunak, der unmittelbar nach dem Brexit-Referendum im Jahr 2016 einen 50-seitigen Bericht zum Thema für den Think-Tank «Centre for Policy Studies» (CPS) vorlegte. Unter dem Titel «Chance durch Freihäfen» argumentierte er, dass der Brexit den britischen Handel, das verarbeitende Gewerbe und den strukturell benachteiligten Norden des Landes stärken könne – durch ein «Freihäfen-Programm», das auf der vorhandenen «maritimen Weltklasse-Infrastruktur» ebenso aufbaut wie auf einen weitgehend privatisierten Hafensektor, «heute bereits der zweitgrösste in Europa.
«Freihäfen könnten 86 000 Arbeitsplätze für die britische Wirtschaft schaffen, wenn sie so erfolgreich wären wie das Netz der US-Aussenhandelszonen», heisst es in dem Bericht, «v.a. in Gebieten ausserhalb Londons». FTZ könnten auch das verarbeitende Gewerbe ankurbeln, das derzeit für nur 10% des britischen BIP steht – ein schwacher Rang unter den OECD-Ländern (30. von 35).
Tatsächlich verfügte das Vereinigte Königreich seit 1984 über etliche Freihafenzonen, darunter Liverpool, Southampton sowie die Häfen von Tilbury, Sheerness und Prestwich. 2012 wurden die entsprechenden Rechtsvorschriften aber nicht erneuert, vermutlich aus Furcht vor möglichen Einwänden der EU. Mit der Isle of Man gibt es auf den britischen Inseln noch eine FTZ, so der CPS-Bericht, im Vergleich zu über 250 in den USA und «ungefähr 3500 FTZ in 135 Ländern auf der ganzen Welt.» So gebe es allein 85 FTZ in der EU, vor allem in Ländern, die nach 2004 beigetreten seien. Dies sei jedoch nur ein «blasser Abklatsch» der internationalen FTZ, denn die EU-Binnenmarktvorschriften des Zollkodex und die EU-Vorschriften über staatliche Beihilfen machten diese zu «wenig mehr als zu Lagereinrichtungen mit einfacheren Zollformalitäten».
In einer UN-Studie aus dem Jahr 2015 wurde festgestellt, dass «FTZ wie ursprünglich geplant in der EU nicht mehr existieren» – aufgrund der «sehr engen» Auslegung des Begriffs seitens der EU.
Erfahrungen auswerten
Der Verband der grössten britischen Hafenbetreiber, die UK Major Ports Group (Ukmpg), wurde von Truss in ein neues Beratungsgremium berufen. Tim Morris, CEO von Ukmpg, begrüsste diese Entscheidung: «Freihäfen sind eine potenzielle Chance zur Entwicklung von Standorten, unter den richtigen Bedingungen und mit starker lokaler Unterstützung», sagte er. «Sie haben sich als erfolgreich erwiesen, um Investitionen und Arbeitsplätze an einer ganzen Reihe von Standorten weltweit zu fördern.»
Der britische Hafenverband BPA – der v.a. kleinere Häfen vertritt – äusserte sich weniger entschieden. «In der jetzigen Form werden die Vorschläge zu Freihäfen wahrscheinlich nicht zu den Ergebnissen führen, die sich einige erhoffen», warnte Geschäftsführer Richard Ballantyne. Das BPA schlägt daher eine ergänzende Idee für «Ansiedlungs- und -Entwicklungszonen» rund um Häfen und Flughäfen vor, die von grosszügigen Rechtsrahmen und wirtschaftlichen Anreizen profitieren würden, um «echtes Wachstum» zu gewährleisten.