Masterplan bis 2053
Steht die Türkei am Wendepunkt hin zu einer globalen Volks- und Logistikwirtschaft? «Auf Sicht fahren» ist bekanntlich die Politik vieler westlichen Staaten – und Unternehmen. Davon heben sich Zuversicht und Optimismus vieler türkischer Player ab. Eine Bestandsaufnahme, die u.a. Gespräche mit Verantwortlichen von DP World, Arkas, Turkish Airlines und dem Ministerium für Transport & Infrastruktur beinhaltete, konnte Christian Doepgen kürzlich vor Ort vornehmen.
Die Entwicklung der türkischen Volks- und Logistikwirtschaft wird derzeit mit Argusaugen beobachtet – von innen wie aussen. Im Q3 / 2022 ist das BIP um 3,9% gewachsen, wie das türkische Statistik-amt Turkstat mitteilte. Im Aussenhandel stiegen die Exporte von Waren im Jahresvergleich um 12,6%, die Importe um 12,2%. Die Inflation aber grassiert, auch wenn sie im November 2022 erstmals seit über einem Jahr von 85,5% auf 84,4% herunterging. Wie also werden die Zukunftsaussichten beurteilt?
Ein ausländischer Player wie DP World hat das Land bereits früh als Wachstumsmarkt identifiziert und treibt u.a. den Ausbau des Yarimca-Terminals voran. «Hier auf der asiatischen Seite können wir Schiffe mit über 20 000 TEU Kapazität abfertigen», erläutert Terminal-Manager Kris Adams den Status Quo. Für Mitte 2023 die Konsolidierung des Seefrachtmarktes erwartend, will man mit der dritten Ausbauphase über die Jahreskapazität des Terminals von ca. 1,4 Mio. TEU hinaus. Adams: «Der türkische Markt reift auf einer gesunden Grundlage.» Auf dieses Potenzial setzt DP World.
Auch Arkas, mit 47 Containerschiffen derzeit der einheimische Player mit der grössten Kapazität zur See, profitiert von der geographischen Lage der Türkei auf dem Mittleren Korridor. Man betritt dabei kein Neuland. «Bereits 2018 haben wir 100 000 TEU über das Kaspische Meer transportiert», sagt Ahu Kahveci, Managerin der Gruppe für Projektlogistik- und Intermodalverkehre, und verweist auf Partner wie KTZ auf der neuen Seidenstrasse.
Nun wird die bestehende Flotte rollenden Materials von 700 Waggons von Arkas Rail durch fünf Siemens-Lokomotiven ergänzt. Bestehende Kooperationen wie mit Duisport, mit dem im Joint Venture seit 2015 der gemeinsame multimodale Trockenhafen Kartepe Terminal entwickelt wird, reihen sich in die Verbreiterung des eigenen Portfolios ein. Künftig sollen hier 350 bis 400 000 TEU p.a. umgeschlagen werden.
Organisch wachsen und kooperieren
Für die Zukunft gut gewappnet sieht Ahmet Bolat, CEO von Turkish Airlines, gleichermassen Land und Unternehmen. «Die globale Rezession kommt, aber die Türkei befindet sich in einer günstigen Lage», so seine Analyse. Turkish Airlines, dessen Namen nicht geändert werden wird, wie er unterstrich, steuert in 2022 Umsätzen von 18 Mrd. USD entgegen – und einem Gewinn von 2 Mrd. USD. Hiervon schüttet die Gruppe übrigens 20% als Bonus an die Mitarbeiter aus, nach vier Gehaltserhöhungen in 2022.
Obwohl auch die Luftfracht mit ihren zuletzt hohen Margen – 7 USD / kg statt 1 USD / kg – ihren Teil zu diesem Rekord-resultat beigetragen hat, sieht Bolat die Wachstumspotenziale in erster Linie in Netzwerk-Kooperationen und mehr Bellyfreight. Sein Plan: «Unsere derzeit 20 Frachtflieger werden wir organisch und sukzessive durch den Umbau älterer Passagiermaschinen innerhalb von 10 Jahren auf 50 Stück ausbauen.» Die Fracht ist also Teil der Gesamtstrategie der Airline.
Die Metaperspektive der Verkehrsentwicklung im Land hat das Ministerium für Transport und Infrastruktur mit seinem Masterplan 2053 entwickelt. «Nach Investitionen von 183,6 Mrd. USD von 2003 bis 2022 werden in unsere Struktur bis 2053 ca. 197,7 Mrd. USD fliessen», erläuterte der stellvertretende Minister Enver Iskurt.
Vor allem die Schienenwege sollen von 13 000 auf 28 600 km mehr als verdoppelt werden. Dem Engpass zwischen Asien und Europa will die Türkei dabei mit einer Schienenstrecke auf der dritten Bosporus-Brücke begegnen, die zwischen den Strassenspuren verlaufen wird.
«Das Projekt ist begehrt und der gemeinsame Finanzierungsplan mit der EU über 6,8 Mrd. USD steht», so Iskurt. Das Projekt ist Teil eines Gesamtkonzepts des Mittleren Korridors, das Anatolien über eine Zusatzstrecke von 160 km an Bulgarien anbinden wird. Auf die Ausschreibung in 2023 soll eine vierjährige Bauphase folgen.
Dass Planungen gerade über Jahrzehnte ihre Tücken haben, ist allgemein bekannt. Gleichzeitig wurde ein kleinmütiger Blick in die Zukunft noch selten belohnt. Hiervon ist man in der Türkei weiterhin weit entfernt.