Marktposition, nicht Grösse
Obwohl seit 2005 Mitglied der Geschäftsleitung, haben wir dem seit dem 1. Januar 2019 neuen CEO von Gebrüder Weiss die ersten 100 Tage im neuen Amt gegönnt. Im Interview erläuterte der frischgebackene Chef des Traditionsunternehmens Christian Doepgen die internationale Neuaufstellung im Bereich Luft- und Seefracht, den Ausbau in Kaukasus und Asien sowie das Geschäft in den Stammlanden.
Sie haben die Gesamtverantwortung in einer erfolgreichen Phase übernommen, Herr Senger-Weiss. 2004 hatte Gebrüder Weiss einen Umsatz von 700 Mio. EUR, heute sind es 1,68 Mrd. EUR mit 150 Standorten und ca. 7100 Mitarbeitern. Welche Ziele haben Sie sich für die Gruppe bis 2020 – oder bis 2030 – gesteckt?
Zunächst einmal beruht die Leistung von Gebrüder Weiss, sich über dem Markttrend zu entwickeln, auf einem starken Team. Wir wollen den bestehenden Kurs fortführen, unsere geographische Ausrichtung konsolidieren und die Chancen der Digitalisierung nutzen, um Prozesse für den Markt zu verbessern.
Sie haben als Mitglied der Geschäftsleitung bei Gebrüder Weiss seit 2005 u.a. den Bereich M&A verantwortet. Denken Sie an eine Expansion durch Zukäufe?
Es steht zunächst das organische Wachstum im Vordergrund. Ein Zukauf muss auch immer strategisch passen, u.a. Geographie und Kultur des Unternehmens. Strategisch wollen wir in Süddeutschland weiter wachsen.
Die 2017 beschlossene Entflechtung des Air & Sea Joint-Ventures mit Weiss-Röhlig hat Ihnen international eine neue Position eingetragen, u.a. in China, Taiwan, Japan, Vietnam, Kanada und den VAE. Hat die Unabhängigkeit Ihrem Unternehmen in diesen Märkten neue Impulse gebracht?
Es ist durch die einheitliche Marke weltweit mehr Dynamik entstanden. Die Entscheidung ist sowohl bei Mitarbeitern wie Kunden gut angekommen. Mit unserer eigenen Organisation in den Schlüsselmärkten USA und Deutschland konnten wir auf Basis der bereits vorhandenen Standorte und Partner ein weltumspannendes Netzwerk errichten.
Als Meilenstein kann die Gründung der eigenen Landesorganisation in den USA gelten, mit dem HQ Chicago und landesweit weiteren sechs Standorten.
Die USA als grösste Volkswirtschaft der Welt birgt weiter viel Potenzial. Obwohl das Geschäftsjahr 2018 von hoher Volatilität geprägt war, haben wir gut Fuss gefasst. Sorgen machen uns Handelshemmnisse – wir bevorzugen freie Märkte.
Die gleiche Frage gilt für China, wo Ihr Unternehmen seit über 25 Jahren vertreten ist und die Zahl der Standorte steigt – setzen Ihrer Tätigkeit angekündigte Handelsbarrieren und der chinesische Wirtschaftsabschwung zu?
In Südchina haben wir mit vier neuen unsere Standorte seit 2017 auf landesweit 18 gesteigert. Zwar hat der chinesische Markt etwas an Dynamik eingebüsst, aber dank der dortigen guten Organisation sehen wir die Entwicklung positiv.
Gebrüder Weiss hat eine traditionell starke Stellung in Zentral- und Osteuropa. Auch die Entwicklung im Kaukasus hat Priorität. Wie ist es 2018 gelaufen?
Ich komme gerade aus Georgien zurück, wo wir uns als Marktführer etablieren konnten. Wir nutzen Tiflis als Hub für die ganze Region – nicht nur für z.B. Armenien und Aserbeidschan, sondern auch für Zentralasien und Osteuropa. Die Volumina wachsen stabil zweistellig.
Und Rumänien und die Türkei?
In Rumänien als recht grossem Land nutzen wir u.a. die Dynamik der hohen Inlands-Konsumation. Mit unseren Home Delivery-Services betreiben wir das wachsende speditionelle B2C-Geschäft.
Wegen des Währungseinbruchs war 2018 für die Türkei ein schweres Jahr. Wir hatten eine positive Entwicklung, denn das Land ist immer noch die verlängerte Werkbank Europas und für Near-Shoring interessant.
Welche Rolle spielt der Bahnverkehr für GW? Wie beurteilen Sie die Neubau- strecke der Breitspurbahn vom Anschluss im slowakischen Košice bis Wien?
Wir prüfen stets alle Transportmodi und betreiben u.a. mit dem Orange Combi Cargo einen werktäglichen Ganzzug Wien–Voralberg. Die Breitspur-Anbindung ist für Österreich eine ganz grosse Chance, und der Grossraum Wien eignet sich ideal als Plattform zwischen Zentraleuropa und Eurasien. Ein komplexes Projekt, aber technisch machbar.
Welche Bilanz ziehen Sie nach sechs Jahren als Präsident des österreichischen Zentralverbandes Spedition & Logistik?
Für die Verbesserung des Images der Logistik ist viel geschehen. Österreich als kleiner Markt kann sich als Vorreiter von Innovationen der Branche etablieren.