Hohe Hürden für höhere Gewalt
Neuausrichtung in traditioneller Umgebung: Das Swiss Shippers’ Forum in Interlaken sprach Verlader, Spediteure und weitere Akteure an. Die Referate und Panels zum Thema Force Majeure stiessen auf grosses Interesse, da juristische Feinheiten bei Ansprüchen und Verantwortungsübernahme den Unterschied ausmachen können.
Aktualität ist für einen Branchen-Kongress grundsätzlich erstrebenswert. Im Fall des Swiss Shippers’ Forum war das Thema «Force Majeure» beinahe etwas zu aktuell. Während der zweitägigen Veranstaltung in Interlaken wirkte sich das Corona-Virus zunehmend auch auf die Logistik aus und die Unternehmen erhielten Anschauungsmaterial, was Force Majeure, also höhere Gewalt, auslösen kann. Die Referenten im Hotel Victoria-Jungfrau konzentrierten sich hingegen auf vergangene Ereignisse, deren Auswirkungen bereits analysiert wurden.
Rastatt und Genua kommen vor Gericht
Frank Wilting, deutscher Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht, beleuchtete in kurzweiliger Weise den Fall «Rastatt», der im Spätsommer 2017 während mehrerer Wochen die Nord-Süd-Verbindung auf der Schiene blockierte. «Rastatt fällt nicht in die Kategorie Force Majeure», hielt Wilting fest. Weil es schon zuvor zu geologischen Erschütterungen gekommen war, sei es kein Ereignis, das ohne Vorwarnung eingetreten war. Ob sich der Infrastrukturbetreiber DB Netz juristisch verantworten muss, bleibt noch offen. Anfang Februar finden die ersten Gerichtsverhandlungen statt.
Auch der Einsturz der Morandi-Brücke stuft der Genueser Anwalt Enrico Mordiglia nicht als Force Majeure ein: «Der Unterhalt wurde zuvor jahrelang vernachlässigt. Es wird interessant zu sehen, wie Gerichte diesen Fall beurteilen.»
Lawine trifft Lkw: Force Majeure
Dass es einiges braucht, damit sich Verantwortliche auf höhere Gewalt stützen können, zeigte Giovanna Montanaro auf. Die auf Transportrecht spezialisierte Anwältin der Zürcher Kanzlei Wartmann Merker, sagte: «Anwälte argumentieren gerne mit Force Majeure, aber die Gerichte stellen hohe Anforderungen.» In der Schweizer Rechtsprechung muss ein Ereignis unvorhersehbar und aussergewöhnlich sein, sowie mit unabwendbarer Gewalt von aussen hereinbrechen. Demnach wäre eine Lawine, die einen Lkw trifft Force Majeure. Der Stau, den die Lawine verursacht, hingegen nicht.
Appell des IMO-Juristen
Juristische Expertise ist auch bei der IMO (International Maritime Organization) gefragt. Frederick J. Kenney, Verantwortlicher bei der IMO in London für Recht und Aussenbeziehungen, stellte die Gretchenfrage zur Implementierung der IMO 2020: «Wo stehen wir einen Monat nach Einführung? Es stechen bislang ganze 25 gemeldete Vorfälle aus der ‹weit verbreiteten Regeltreue› heraus.» Kenney‘s Fazit fiel uneingeschränkt positiv aus: «Wir sind von der bisherigen Umsetzung durch die Branche beeindruckt.» In diesem Zusammenhang wies er auch auf die Tatsache hin, dass die IMO in den 71 Jahren ihrer Geschichte erstmals mit dieser Massnahme in der globalen Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. «Nutzen Sie die Vorreiter-Rolle», rief er den Zuhörern zu.