Luftfracht in Atemnot
Die Luftfahrtbranche befindet sich in einer noch nie dagewesenen Krise. Für einmal dürfte es die Passagierluftfahrt härter als die Luftfracht treffen. Aber die eine kann nicht ohne die andere, wie die Ereignisse der letzten Wochen in Erinnerung rufen – mag sich die Situation täglich ändern oder gar stündlich.
Noch nicht einmal 20 Jahre alt ist dieses Jahrhundert, und die Luftfahrt hat schon so manche Krise überlebt: von den Anschlägen am 11. September 2001, auf die eine Pleitewelle von Fluggesellschaften folgte, die, wie im Falle der Swissair, als nationale Symbole geradezu unerschütterlich schienen, über das «Annus horribilis» 2009 im Schlepptau der globalen Finanzkrise und den Ausstoss von Asche eines isländischen Vulkans mit nahezu unaussprechlichem Namen 2010 bis hin zu den Auswirkungen von Viren-Epidemien wie Sars und Mers, Vogel- und Schweinegrippe, Ebola- und Chikungunya-Fieber. Und doch ist die Bedrohung neu: Konnten die bisherigen Seuchen grösstenteils regional eingedämmt bleiben, so hat die aktuelle Pandemie von dem inzwischen fortgeschrittenen Grad der Globalisierung des Handels profitiert.
Verschiedene Szenarien
Nach Covid-19 wird die (Luftfahrt-) Welt wohl nicht mehr dieselbe sein. Einige Analysten sagen eine Beschleunigung der Konsoldierung der Fluglinien voraus, die bis zur Halbierung der bisherigen Anzahl von Luftfahrtdienstleistern reicht. Die grössten Pessimisten prophezeien nicht weniger als das Ende des gesamten Gewerbes.
Im Auge des Sturmes erheben die Branchenverbände ihre Stimme und haben u.a. erwirkt, dass wenigstens Fracht weiterhin per Flugzeug transportiert wird – und zwar nicht nur Hilfsgüter. Denn weil in China die Produktion wieder angelaufen ist, kann nur der Luftweg die Lieferketten garantieren. Doch da zu normalen Zeiten rund die Hälfte der Volumina unterflurig in Passagiermaschinen geflogen wird, die meisten davon nun aber bis auf Weiteres am Boden bleiben müssen, fehlen plötzlich Kapazitäten, was Luftfracht noch begehrter als ohnehin macht. Um der Nachfrage einigermassen gerecht zu werden, funktionieren immer mehr Mischcarrier ihre Widebodys vorübergehend zu «Nurfrachtern» um – «Vollfrachter» wäre wohl zu viel gesagt.
Ein Virus fliegt um die Welt
ASIEN
In Asien fing im Januar, als man noch über den dieses Jahr besonders frühen Beginn des Mondjahres klagte, alles an. Für den ersten Monat 2020 ermittelte die Association of Asia Pacific Airlines einen mit der zweiten Hälfte des Vorjahres vergleichbaren Rückgang der Frachtleistung ihrer Mitglieder um 4%. Waren sie in der Passage noch leicht im Plus (2,7%), folgte deren tiefer Fall im Februar (–34,8%). Trotz wochenlanger Produktionspausen in China schlug sich das Frachtgeschäft viel weniger schlecht (–3%).Einige der Linien, zunächst Cathay Pacific, dann Singapore Airlines und Korean Air, reagierten als erste mit dem vorübergehenden Einsatz von gegroundeten Widebody-Passagiermaschinen als «Nurfrachter».
MITTLERER OSTEN
Auch an den wachstumsverwöhnten mittelöstlichen Fluglinien geht die Krise nicht vorüber. Emirates und Etihad Airways mussten ihre Passagierdienste einstellen, Qatar Airways strich ihr Programm erheblich zusammen. Nurfrachtflüge dieser grossen Anbieter sind davon unberührt.
AFRIKA
Während mittelöstliche und nordafrikanische Fluglinien laut einer Iata-Schätzung vom 19. März bereits 16 000 Passagierflüge streichen mussten, scheint der afrikanische Kontinent, der zuletzt frachtseitig am stärksten wuchs, besonders anfällig. Die ohnehin kriselnde South African Airways musste schliesslich auch die Strecke Kapstadt–Johannesburg einstellen.
EUROPA
Ambivalenz prägt den Kontinent, der sich als zweiter Brennpunkt von Covid-19 herauskristallisiert hat: Die grossen Mischcarrier mit Maindeck-Kapazitäten laufen auf Hochtouren und übernehmen wie Swiss, IAG oder gar Alitalia das asiatische Vorbild für ihre grossen Passagierflugzeuge.
AMERIKA
Gleiches gilt auch für die grossen US-Linien American Airlines, Delta und United sowie Air Canada und die wichtigsten lateinamerikanischen Gesellschaften wie Latam Cargo. Gleichzeitig erhöhen Spediteure und Charterbroker das Angebot auf der transatlantischen Route.