50 frachterliche Jahre
Die Geschichte von Cargolux, die vor genau einem halben Jahrhundert gegründet wurde (4. März 1970) und zum ersten Mal abhob (11. Mai 1970), ist eine Konzentration der Entwicklung, die das Luftfahrtwesen und die Luftfrachtbranche in dieser Zeitspanne durchschritten haben. Dieses Jahr scheint der April ein ganz besonders passender Moment zu sein, einen Blick darauf zu werfen.
«Ich denke, ich spreche für die gesamte Firma, wenn ich sage, dass wir sehr stolz darauf sind, wie weit wir mit unserer Fluglinie gekommen sind. Wir haben in den letzten Jahren viele Höhen und Tiefen gemeistert und immer wieder bewiesen, wie engagiert unsere Angestellten sind. Zusätzlich möchte ich allen unseren Kunden und Businesspartnern dafür danken, dass sie diesen denkwürdigen Moment mit uns feiern», sagte Richard Forson, seit 2016 Präsident und CEO von Cargolux, zur Feier ihres 50. Geburtstags letzten Monat.
Ein Start-up vor der Zeit
In der Tat war es 1969/1970 nicht absehbar, ob der Ehrgeiz der paneuropäischen Eltern des Unternehmens – in erster Linie der luxemburgische Flag Carrier Luxair, die schwedische Salén Shipping Company und die 1944 gegründete Loftleiðir Icelandic Airlines – ausreichen würde, um es wirklich erst einmal zum Abheben zu bringen und dann dauerhaft fliegen zu lassen: Denn zu dieser Zeit, das offenbart den jüngeren Lesern ein Blick ins Foto¬album, war die Frachtfliegerei noch keine etablierte Industrie, und die Profitabilität der Idee der Investoren, mitten aus Europa heraus ausschliesslich Güter zu fliegen, schien vielen Beobachtern fragwürdig.
Aber sie brachten ihre mehrere Monate dauernden Überlegungen zum Abschluss und liessen am 4. März 1970 den Namen Cargolux ins Unternehmensregister des Grossherzogtums Luxemburg eintragen. Ihr erstes Büro erinnert an die Anfänge der heute grossen Namen im Silicon Valley, doch es reichte für die Bedürfnisse einer Hand voll Angestellten. Hinzu kam eine einzige Crew, die das erste Flugzeug, eine geleaste CL-44, kaum zwei Monate später von Stockholm nach New York über¬führte, um mit Erdbeeren und Eisberg¬salat zurück nach Europa zu fliegen.
Pionier zwischen Propellern und Düsen
Da das transatlantische Geschäftsmodell von Loftleiðir eigentlich ein Vorläufer der heutigen Billigflieger war, musste das erste Flugzeug von Cargolux zunächst in seine ursprüngliche Version mit einer Fracht-kapazität von 27 t zurückverwandelt werden. Ihr «Swingtail» verschaffte der viermotorigen CL-44 aber ein Alleinstellungsmerkmal, das sie für den Umgang mit Frachtgut besonders geeignet machte. Mit einer zweiten CL-44 konnte Cargolux Ende 1970 ihren ersten Linien¬dienst (Hongkong) aufnehmen. In verlängerter Version beförderte sie 18% mehr Fracht.
Noch einmal 2 t mehr (34 t) bot Cargo¬lux die ab 1973 eingeführte DC-8. Ihr Einstiegsmodell ins Jet-Zeitalter beschleunigte auch die Geschwindigkeit des Geschäfts und drückte die für den Hin- und Rückweg nach Hongkong benötigte Flugdauer auf unter 32 Stunden. Ende der 1970er-Jahre verdrängten die «Jumbos» die kleineren Strahlflugzeuge, wobei Cargo¬lux 1993 als erste Fluglinie eine B747-400F einsetzte, nach dem Vierteljahrhundert ihres Bestehens das erste gefertigte Modell des Typs übernahm und sich ab 2005 als Entwicklungspartner der B747-8F hervortat. Ihre heute 14 B747-8F und 16 Boeing 747-400F bedienen 75 Destinationen mit Linienflügen, die um Charter- und über 250 Truckingziele ergänzt werden.
Eine Zukunft in Nischen
Ob verderbliche Güter wie bei der Erst¬ladung 1970 oder pharmazeutische Sendungen und die Sicherstellung der Lieferketten im Schatten von Covid-19 (S. 9) – zum «Spirit of Cargolux» gehört auch ein auf die ganz spezifischen Transportbedürfnisse unterschiedlicher Branchen zugeschnittenes Portfolio. Vom Verlust der zweiten, ausgerechnet mit Hilfsgütern beladenen CL-44 bereits im Gründungsjahr über Wirtschafts- und Finanzkrisen in den 1980er- und 2000er-Jahren bis hin zur Verstrickung in Kartellen – in einem halben Jahrhundert wurden freilich nicht nur positive Schlagzeilen geschrieben. Nach dem Einstieg von Henan Civil Aviation and Investment als zweitgrösstem Aktionär (35%) navigiert das Unternehmen heute mit einem Doppelhubsystem in Luxemburg und Zhengzhou zzgl. der Tochter Cargolux Italia und sieht sich auch für die digitale Zukunft gerüstet.